deckkraft featuring...
Von Dr. Emmanuel Mir (2013)
Künstlerkollektive wirken auf den ersten Blick als eine Sondererscheinung der Kunstgeschichte, waren dabei - und bleiben bis heute - wichtige Herden von Entwicklungen und Erneuerungen. Spätestens seit Anfang der Moderne (ob die Nazarener in Deutschland oder die Schule von Barbizon in Frankreich) sind Bündnisse geschlossen, Formen der Zusammenarbeit gefunden und somit die Mythen des genialen Einzelnen und des abgekapselten schöpferischen Ichs relativiert worden. Zwar erscheinen die 1990er und 2000er Jahre mit ihrer Vorliebe für den Typus des Künstlers als Einzelkämpfer rückwirkend als superindividualistisch, aber die schleichende Repolitisierung der Künstlerschaft und eine Neuentdeckung der kollektiven Arbeit in den darauffolgenden Jahren ließ die Zahl der Künstlergruppen fühlbar wieder steigen.
Wenn die Relevanz von Künstlerkollektive nicht infrage gestellt werden kann, erscheint die Form des Künstlerduos historisch deutlich seltener. Der Kenner der zeitgenössischen Szene wird zwar sofort mit den Namen von Gilbert & George, Fischli & Weiss oder Eva & Adele (Vorsicht, Verwechslungsgefahr mit Dick und Doof!) angeben, der affine Kenner sogar behaupten, dass Künstlerduos en vogue sind, alles in allem wirkt die künstlerische Zusammenarbeit im Pärchenmodus doch exotisch. Und an dieser Stelle darf man sich fragen, was deckkraft eigentlich ist. Ein poststrukturalistischer Kolchos mit der ethischen Einstellung einer Künstlergruppe aus den frühen 80ern? Der Codename einer Malmaschine, ein System zur unendlichen Produktion von neuen Bildern? Ein anonymes Konstrukt, das trotz aller Expressivität der Malergebnisse sich gesichtslos zeigt - ein Daft Punk der Malerei? Ein Binom, das sich nie genug ist und stets nach externen Bereicherungen sucht - wie eine Superband in ständiger Gründung? Das von Marc von Criegern und Walter Eul erfundene deckkraft erinnert jedenfalls an nichts Gesehenes oder Gehörtes.
Gegen Anfang des Jahres 2013 kamen von Criegern und Eul, schon seit geraumer Zeit zusammenarbeitend, auf die Idee, einen zusätzlichen Künstler einzuladen und mit ihm ein Bild zu malen. Nach erfolgreichen und vergnüglichen Malsessions zu dritt, systematisierten sie die Arbeit und kontaktierten insgesamt sieben Kollegen, um die monumentalen Gemeinschaftsbilder zu produzieren, die im September auf der Reisholzer Werftstraße zu sehen waren. Eine beeindruckende, ja überfordernde Ausstellung wurde das.
Die physische Evidenz der Bilder, die nicht nur ihren beinah unmenschlichen Maßen gezollt ist, entzog sich zunächst jeder vernunftgesteuerten Rezeption. Wie für die grassierende Paintants von Marcaccio oder die einehmende Wallpainting von Grosse, wirkt sich die Malerei von deckkraft direkt auf dem Körper des Betrachters aus. Die Bilder sind an sich so kräftig, so gewaltig, dass die dahinter liegende Idee der kollektiven Arbeit, der prozessualen Entstehungsweise oder der antiauktorialen Absicht, also all dem theoretischen Überbau, den man an dieser Malerei anhängen kann, sofort verschwindet. Diese furiose Gemälde brauchen keinen Diskurs. Oder, anders formuliert: Der Diskurs hat angesichts dieser Gemälde keine Durchsetzungschance. Diese Gemälde machen alles platt, was sich ihrer Umgebung nähert. Der malerische Körper dieses wuchtigen Kolosses tänzelt in der Halle wie ein Schwergewicht am Anfang der ersten Runde - noch frisch, beweglich und bereit, seinen Gegenüber KO zu schlagen. Und es waren sieben riesige Körper in dieser Halle!
Was man jedenfalls beim ersten Augenblick deutlich erkennen konnte, war dass die Gemälde für den besonderen Raum der Reisholzer Werfts gemalt wurden. Die Halle ist groß, hoch und eignet sich eigentlich schlecht für Ausstellungszwecke. Als Künstler und Gast kann man die Spezifität der Volumen einfach ignorieren und so tun, als ob es sie nicht geben würde oder dagegen kämpfen und versuchen, die Raum-Werk-Verhältnisse zu klären. Niemals habe ich jedoch eine so gute Klärung vorgefunden. Um die Maßen ihrer Leinwände zu bestimmen, sind Eul und von Criegern von den Maßen der Halle ausgegangen. Dadurch behaupten sich die 3,5 x 6-Meter-Giganten mühelos und, dank einer gescheiten Zickzack-Hängung (wobei die Bilder nicht hängen, sondern elegant und massiv zugleich auf einer Ständerkonstruktion stehen), modulieren und dynamisieren den Raum.
Zur Maltechnik und zu den Besonderheiten des kollektiven Malprozesses, verweisen wir hier auf "deckkraft" - ein Name wie ein Programm. Schicht für Schicht überlagern sich die verschiedenen rhetorischen Elemente eines mehrstimmigen künstlerischen Gesprächs, mehr oder weniger miteinander verbunden. Je nach Konstellation ist das Ergebnis des Austausches homogen oder fragmenthaft; die individuellen Zeichen setzen sich mit verschiedener Prägnanz durch. So erscheint das Bild, das Roman Lang mitgemalt hat, wie aus einem Guss durchgeführt, relativ geklärt und übersichtlich. Wer aber ein bisschen näher an der Komposition kommt, an der Robert Klümpen mitgewirkt hat, wird die Spuren eines erbitterten Kampfes sehen. In mehrfachen Übermalungen, auf der Suche nach plastischen Lösungen die alle Beteiligten zufriedenstellen können, wurde nach einem langen Prozess ein Bild voller Untiefen realisiert.
Trotz der offenen kollektiven Arbeitsweise, sind die individuellen Spuren jedes einzelnen Künstlers deutlich abzulesen. Die Polksche Einfügung von Schablonen und Raster, die Walter Eul besonders bevorzugt, sowie collagierte menschliche Figuren in einer anonymen Retro-Ästhetik, die ein wenig an Neo Rauch erinnern kann und die Marc von Criegern gerne verwendet, bilden die Bindeglieder aller Bilder. Die pseudo-gesprühten Gesten eines Ted Green oder die Waffenmotive eines Robert Pufleb ragen aus dem malerischen Malstrom mit unterschiedlichen Deutlichkeiten hervor und sind der Beweis, dass das Projekt auf einer gegenseitigen Befruchtung - und nicht auf dem kompletten Annihilieren jedes Einzelnen, auf seiner Auflösung im großen Malereibrei - beruht.
Original Text unter www.perisphere.de.