Introvertierte Extrovertiertheit - extrovertierte Introvertiertheit
Von Stefan à Wengen (2013)
Die interimistische Einsamkeit des Malers im Atelier ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung seiner Malerei. Auch der Schriftsteller verbringt einsame Stunden vor seinem Laptop und lässt jegliche gesellschaftliche Gegenwart vermissen. Dennoch sind solch einsame und gleichsam introvertierte Schaffensstunden nicht zwingend entbehrungsreich oder müssen zuweilen gar als Fron empfunden werden. C. G. Jung verwendete schon früh die Adjektive introvertiert und - als Gegenwort - extrovertiert in seiner psychologischen Typenlehre. Demnach sind auch Maler und Schriftsteller introvertierte Gesellen; sie „introvertieren“ sich, wenngleich nur zeitweilig, so doch aber während der Dauer ihrer kreativen Arbeit. Natürlich liegt es an der Einfachheit der Mittel, die dem Maler seine Introvertiertheit ermöglichen; er braucht keine Kollaborationen, Spezialisten, Techniker oder von mehreren zu handhabende Gerätschaften, die ihm die Umsetzung seiner Kunst erlauben. Und natürlich schwebt auch der Hauch der Genialität über seinem intimen, introvertierten Tun; der große Malermaestro, der die Welt allenthalben mit einem neuen Meisterwerk aus seinem stillen Kämmerlein beschenkt, dessen Entstehung so gänzlich im Verborgenen vonstatten ging. Oder sind es nicht eher Tricks und Kniffe, die der Maler anwenden oder sich aneignen musste, um ein gewisses Unvermögen hier und da in der Umsetzung seiner Bildvorstellungen zu umschiffen und die er deshalb nicht preisgeben oder gar teilen will?
Der Schweizer Galerist Bruno Bischofberger überredete 1983 Andy Warhol, Francesco Clemente und Jean-Michel Basquiat mit seiner Idee, kollaborative Kunstwerke zu schaffen und dergestalt ihre Kooperationsfähigkeit auf die Probe zu stellen. So entstanden zwischen 1983 und 1985 eine ganze Reihe großer Leinwände, die die Stilelemente der drei Zugpferde seiner Galerie vereinten. Selten jedoch arbeiteten die drei Kunstmarkthelden zeitgleich an den Leinwänden, vielmehr wurden die von einem der drei Künstler begonnenen Gemälde zum anderen transportiert, und so konnte jeder das bereits Gemalte künstlerisch erwidern. Der eine schien den anderen vermeintlich zu ergänzen oder auf ihn zu reagieren, während der Dritte sich darüber echauffierte, es aber dennoch tolerierte, dass einer seine Erwiderung übermalte. Alle drei blieben jedoch ihrem individuellen Stil treu und setzten lediglich ihre erkennbaren Markenzeichen neben-, in- und aneinander. Meist begann Warhol mit Acrylmalereien von Haushaltsprodukten oder beispielsweise mit dem von ihm appropriierten Logo von General Electric, Clemente fügte hiernach seine malerisch-symbolistischen Figurengruppen hinzu und Basquiat ergänzte das Ganze mit Text- und Kritzelcollagen.
Genau dreißig Jahre später lud die Gruppe deckkraft, bestehend aus den zwei zuvor schon in gemeinschaftlicher Kooperation geübten Düsseldorfer Maler Walter Eul und Marc von Criegern, sieben von ihnen geschätzte Kollegen zu jeweils einem, zusammen mit ihnen zu malenden Bild ein.1 Anders als bei Bischofbergers Projekt, stützt sich das Unternehmen von deckkraft jedoch nicht auf kommerzielle Erwartungen - allein die Größe der entstandenen Bilder, alle jeweils 350 x 600 cm, macht eine Veräußerung nahezu unmöglich. Vielmehr galt es deckkraft als Gruppe mit jeweils einem eingeladenen Maler die gegenseitige Inspiration und Erfahrung zu erproben und auch zu teilen. Dabei wurde im kollektiven Malprozess das Bild von Anfang an bis zum Ende gemeinsam entwickelt und durchgemalt. Erstaunlich dabei war der jeweilige Konsens, ein gleichsam dezentes und feinfühliges Abtasten bezeugte den gegenseitigen Respekt und förderte desgleichen die Individualität eines jeden der sieben eingeladenen Künstler, deren auf den Bildern hinterlassene Spuren, individuelle Stilelemente und bildnerische Diktionen noch lesbar blieben. Gleichwohl bestand bei der Entstehung der sieben Bilder zu keiner Zeit das Risiko einer gleichsam narzisstischen Überbehauptung der jeweiligen von deckkraft eingeladenen Künstler. Nicht die Echauffierung über den Anderen und folglich die Durchsetzung des Eigenen stand im Vordergrund, sondern das gemeinschaftliche Ziel, jeweils kollektiv ein Werk zu schaffen, das jedes für sich - für deckkraft und die eingeladenen Künstler - einerseits die eigene Handschrift widerspiegelt, andererseits aber - und anders als bei den Künstleregos Bischofbergers - auch soweit zurück zu treten, dass das Eigene mit dem Anderen einträchtig ineinander zerfließen konnte. Es entstanden alsdann eruptive wie erratische, figürliche wie abstrakte, zuweilen humorvolle wie auch melancholisch anmutende Gemälde und überdies Malerei, die sich sogar mit Fotografie verbündete.
Der Genuss des gemeinschaftlichen Arbeitens schloss jedoch nicht die Sehnsucht aus, sich wieder zu „introvertieren“ und die Einsamkeit des Schaffens im Atelier zu ersehnen. Mit einigen guten Erfahrungen, Tricks und Kniffen mehr konnte man sich darauf wieder freuen, während deckkraft weiterhin, „extrovertierend“, ihr Gemeinschaftsprojekt fortsetzt.
Zu guter Letzt begann Andy Warhol nach seinen Kollaborationserfahrungen und nach zwanzig Jahren Siebdrucktechnik wieder mit dem Pinsel zu malen, während Basquiat sich der Domäne Warhols zuwendete und anfing, mit Siebdruck zu arbeiten.
1 Ted Green, Robert Klümpen, Roman Lang, Daniel Man, Peter Pommerer, Robert Pufleb, Stefan à Wengen